171: Gefängniskirche JVA Tegel

Wir mussten ins Gefängnis. Zum Glück nicht weil wir etwas verbrochen haben, sondern weil wir uns alle Kirchen Berlins von innen ansehen wollen, ohne Ausnahme. Die Zwillingstürme der Kirche in der JVA Tegel an der Seidelstraße fielen uns zum ersten Mal auf, als wir mit dem Auto auf dem Weg zu anderen Kirchen in Tegel unterwegs waren. Erst hatten wir die Hoffnung, dass sie nicht auf dem Gelände der JVA steht, sondern von außen zu erreichen ist. Nach einer Umrundung des Geländes und einem Blick auf Google Maps war jedoch schnell klar, dass sie sich vollständig auf dem Gefängnisgelände befindet und Teil des alten kreuzförmig angeordneten alten Zellentrakts ist:

Um die Kirche zu besuchen, mussten wir also das Gefängnis betreten. Da wir beide nicht vor hatten straffällig zu werden, schrieben wir deswegen den katholischen Gefängnispfarrer Stefan Friedrichowicz an, dessen Adresse wir auf der Webseite der JVA fanden, ohne wirklich die Hoffnung zu haben, eine Antwort für unser seltsames Anliegen zu bekommen. Zu unserer großen Überraschung fand der Pfarrer unsere Anfrage nicht komplett abwegig, sondern half, uns einen Besuch der Kirche zu ermöglichen. Dazu mussten wir erst unsere persönlichen Angaben einreichen und durften uns dann am Montagabend am Tor 2 der JVA einfinden, wo man schon über unseren Besuch informiert war. Nachdem wir alles was wir bei uns trugen abgegeben bzw. eingeschlossen und wir den Personalausweis gegen eine Besucherkarte eingetauscht hatten, wurde wir von Pfarrer Friedrichowicz an der Schleuse in Empfang genommen. Um zur Kirche zu gelangen, mussten wir nun eine größere Strecke durch das Freigelände der JVA zurücklegen. Zum Glück war außer uns dort kaum jemand unterwegs und die Hofgänger befanden sich in einem noch einmal extra gesicherten Bereich. So erreichten wir den Flügel mit der Kirche vollkommen unbehelligt und konnten sie nach dem Aufstieg über das Treppenhaus durch die Sakristei betreten.

Die Kirche befindet sich im obersten Stockwerk eines der 4 Gefängnisflügel und hat wie schon beschrieben zwei große Türme (durch die wir ja erst von der Straße auf sie aufmerksam wurden). In einem der beiden Türme befand sich früher ein großer Wasserspeicher. Er ist also eigentlich ein Wasserturm. Die Kirche wurde zusammen mit dem Gefängnis 1898 gebaut und war von der Größe für die über eintausend dort einsitzenden Gefangenen dimensioniert. Hier finden sowohl evangelische als auch katholische Gottesdienste statt. Im Innenraum fällt einem sofort die ungewöhnliche Anordnung der Kirchenbänke auf, die wie in einem Hörsaal nach hinten leicht ansteigen. Man möchte schließlich die Gefangenen immer im Blick haben. Früher waren deswegen die Bänke sogar noch in einzelne Boxen unterteilt. Als weitere Besonderheit gibt einen sogenannten Kanzelaltar, also eine Kanzel die in die Wand hinter dem Altar eingelassen ist. So etwas haben wir bisher nur in der Stadtkirche Köpenick gesehen. Sie wird aber nur für den evangelischen Gottesdienst benutzt. Der katholische Gottesdienst wird dagegen traditionell von unten abgehalten. Da die Kirche von Kriegschäden verschont blieb, ist die typische Bemalung aus der Gründerzeit erhalten geblieben und sogar von Gefangenen wieder aufgefrischt worden. Außerdem ist aus dieser Zeit auch die schöne Holzdecke und die kleine pneumatische Orgel erhalten geblieben. Wer sich einen eigenen Eindruck verschaffen möchte, findet auf dieser Seite ein Foto vom Innenraum. Eigene Fotos müssen wir dieses Mal leider schuldig bleiben, denn wir mussten am Eingang alles abgeben, womit man welche hätte anfertigen können.

Nach dem Besuch der Kirche konnten wir dann über den Hinterausgang der Kirche noch einen Blick in den Zellentrakt werfen. Wir gingen bis zur sogenannten Kanzel, dem zentralen Raum in der Mitte, von dem man einen Blick in alle 4 Flügel des Baus hat. Von dort ging es wieder zurück durch die Kirche über den Hof zum Tor, wo wir unsere Besuchskarte gegen unseren Ausweis zurücktauschen konnten und wieder in die Freiheit entlassen wurden. Wir empfanden den Aufenthalt in der JVA als deutlich beklemmender als wir uns das vorher vorgestellt hatten. Man kennt natürlich die Bilder von Gefängnissen aus diversen Filmen, aber der konkrete Besuch vor Ort ist doch etwas anderes. Wir haben von Pfarrer Friedrichowicz sehr viel über das Leben und die Verhältnisse im Gefängnis erfahren. Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei ihm für seine Hilfe beim Besuch der Kirche und die geduldige Beantwortung aller unserer Fragen bedanken. Wie er uns erzählt hat, betreut er nicht nur die Gefangenen in der JVA sondern begleitet sie auch nach Ihrer Entlassung im Rahmen seiner Tätigkeit an der St. Rita Gemeinde auf Ihre Weg zurück in die Freiheit.

Update
In der Zwischenzeit ist Pfarrer Friedrichowicz zum Domkapitular des Erzbistums Berlin berufen worden. Herzlichen Glückwunsch!

Update 2
Nun hat diese Kirche auch ihren eigenen Wikipediaeintrag, der sogar momentan (12.02.2023) auf diesen Beitrag verweist.

Update 3
Hier sind zwei weitere Artikel mit Fotos vom Innenraum:
https://www.tagesspiegel.de/125-jahre-jva-tegel-das-jubilaumsjahr-die-berliner-gefangniskirche-wird-restauriert-8884207.html?bezuggrd=LEU&utm_source=leute-reinickendorf
https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/gefangniskirche-tegel-verborgene-kunst-neben-altar-und-orgel-entdeckt-10959202.html

Gefängniskirche Tegel (Reinickendorf)
Webseite: https://www.berlin.de/justizvollzug/anstalten/jva-tegel/was-machen-wir/religioese-betreuung/
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Gef%C3%A4ngniskirche_Tegel

10 Gedanken zu „171: Gefängniskirche JVA Tegel

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